„Coelorum Perrupit Claustra…“
- Zu Besuch im inoffiziellen Herschel-Museum
7. September 1822. Die Erde bekommt einen Sohn zurück, der - so steht es auf einer Gedenkplatte in London geschrieben - die Grenzen des Himmels durchbrach.
Nur wenige verbinden mit dem Namen dieses Menschen zahlreiche Kompositionen für Symphonien, Orgelwerke und Kammermusik, die es bereits für sich genommen rechtfertigen würden, dieser Leistungen anlässlich seines 200. Todestages zu gedenken.
Mit 19 Jahren floh der in Hannover geborene Sohn eines Militärmusikers vor dem Krieg, quittierte den Militärdienst und ging nach England. Liebe zu einem Land auf den ersten Blick, könnte man sagen. Er verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Notenkopist und leitete dann im englischen Ort Bath ein Orchester, um sich dann mit 32 Jahren einem ganz anderen Gebiet intensiv zu widmen: Beobachten und katalogisieren, was da über uns am Firmament in klaren Nächten erstrahlt; damals noch ohne Lichtverschmutzung in einer Pracht zu sehen, wie es den meisten von uns nur noch aus frühesten Kindertagen in Erinnerung ist.
Das Meer der Sterne, im Schaumbad der Milchstraße munter funkelnd.
Er entdeckte die Infrarotstrahlung der Sonne, vermutete einen Zusammenhang zwischen Anzahl der Sonnenflecken und Dürreperioden, baute die lichtstärksten Spiegelteleskope, um dann 1789 mit einem Durchmesser von 1,22 m und einer Länge von 40 Fuß (fast 12 Meter) auch noch das seinerzeit größte zu schaffen. Ein noch erhaltenes Segment davon befindet sich in Greenwich im Vorgarten des Royal Observatory.
Der Name dieses Mannes: Wilhelm Herschel, oder „William“, wie ihn die Engländer nannten. Er entdeckte den Planeten Uranus (zunächst benannt „Georgium Sidus“ zu Ehren des Königs Georg III.).
Aber wo ist die letzte Ruhestätte dieses Mannes?
An keinem geringeren Ort als der Krönungskirche Englands findet sich am Altar ein Gedenkstein im Boden. In einer Inschrift heißt es:
„Coelorum Perrupit Claustra. Alibi Sepultus.“
„Er durchbrach die Grenzen des Himmels. Irgendwo begraben.“
Hier ruht er also nicht. Statt dessen ist es sein Sohn John, der neben seinem engen Freund Charles Darwin dort seine letzte Ruhestätte gefunden hat. In diesem Areal der Westminster Abbey ruht so viel naturwissenschaftlicher Geist, dass einem der Atem stockt. Unmittelbar daneben: Die Grabstätten von Sir Isaac Newton, Steven Hawkins, Lord Kelvin - um nur einige zu nennen.
Aber wo ist „Irgendwo“? Wo ruht Wilhelm Herschel? Warum ist er nicht in der Abbey?
Um William Herschels letzte Ruhestätte zu finden, muss man zum englischen Ort Slough in die Nähe von Schloss Windsor fahren, ungefähr eine Stunde mit dem Zug westlich von London entfernt. Er ruht fernab von Tourismus und Schaulustigen in der kleinen St. Laurence Kirche in Upton (Slough) (› Google Maps).
Als ich dort neugierig und auch etwas hilflos suchend eintreffe, bereitet man mir ein herzliches Willkommen. Ich werde von den Anwesenden mit offenen Armen empfangen und bekomme erst einmal eine Tasse Kaffee. William hat dort einen regelrechten Fanclub mit einem eigenen Newsletter. Wer immer Expertise zu Wilhelm Herschel sucht, wird dort eine gute Adresse finden.
Auf meine Frage hin, ob und wo hier die Grabstätte von Wilhelm Herschel sei, werde ich vom Pfarrer kurzerhand gebeten, einen großen Teppich mit anzufassen. Mein Angebot, die Schuhe auch ausziehen zu können - noch immer glaube ich, über den Teppich zum Altar laufen zu müssen - wird höflich abgelehnt. Der Teppich muss also beiseite geräumt werden. Voller Respekt und etwas zögerlich packe ich mit an. Ein wenig unwohl fühle ich mich schon: Ich bin in einem anderen Kulturkreis, in einer Kirche und man bietet mir allen Ernstes an, den großen roten Teppich „da“ beiseitezuräumen, um einmal nachschauen zu können, was drunter ist. Fehlt eigentlich nur noch, dass wir die Grabplatte anheben. Aber das alles geschieht ja unter kirchlich-väterlicher Aufsicht und muss folglich auch den Segen von „oben“ haben.
Ich bin so aufgeregt, dass ich zum ersten Mal mit meiner Handy-Kamera keine gescheiten Fotos hinbekomme. Alles verwackelt. Ich habe schon viel gesehen in meinem Leben, aber mit so einem herzlichen Willkommen, so einer actio habe ich einfach nicht gerechnet. Das alles wirkt sehr rührend.
Eine recht prominente Grabplatte tritt zutage. Die Inschrift ist ohne technische Hilfsmittel kaum zu erkennen, was auch der Grund für den darüber gelegten Teppich zu sein scheint: Nach 200 Jahren Hinüberlaufen ist die Inschrift schlicht abgeschliffen.
Inschrift der Grabplatte Wilhelm Herschels in der St. Laurence Kirche in Upton (Slough)
Dort also liegt William Herschel begraben. Ganz unspektakulär und ohne die Pracht der Krönungskirche Englands. Er ruht dort bescheiden zusammen mit jener Frau, die er in der St. Laurence-Kirche geheiratet hat: Mary Pitt, seine (verwitwete) Nachbarin.
Ich finde das alles unglaublich und erhalte von einem Mann, der sich mir als „Richard“ vorstellt, noch einen ausführlichen Vortrag über das Leben der Herschels. Diese Familie hat über Generationen Spuren in der Welt hinterlassen.
Und diese kleine Kirche in Slough ist ein kleines William-Herschel-Museum, ein „Herschelarium“. Allein schon die Fensterverglasung ist Motiven seines Lebens gewidmet. Es berührt mich, an diesem Ort zu sein. Sogar ein Modell seines 40-Fuß-Teleskops findet sich hier.
Richard berichtet, dass die Stadt Hannover sich für ihren berühmten Sohn nicht interessiere. Auf Anfragen würde nicht einmal geantwortet.
Tief beeindruckt und bewegt verlasse ich diesen Ort.
Ein Pfarrer hat heute zusammen mit mir den roten Teppich für Wilhelm Herschel ein- und wieder ausgerollt, damit ich ihm „Hallo“ sagen konnte. Was für ein Tag!
Text und Foto: Remondo Dubbke
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