Solche Beobachtungen sind auch in der Großstadt problemlos auszuführen. Für den 29. Oktober 2019 war die Bedeckung eines 10.1 mag hellen Sterns durch den kleinen Planeten Sylvia vorherberechnet. Die Archenhold-Sternwarte lag in der Mitte der Bedeckungszone. Der kleine Planet Sylvia, der die Nummer 87 trägt, wurde 1866 vom britischen Astronomen Norman Pogson im indischen Chennai entdeckt. Als achtgrößter Kleinplanet des Hauptgürtels der Kleinplaneten hat er einen mittleren Durchmesser von über 250 km und wirft deshalb einen entsprechend großen Schatten auf die Erdoberfläche. Der Entdecker schlug für den Himmelskörper den Namen Rhea Silvia, der mythischen Mutter von Romulus und Remus vor. Ein netter Zufall, denn 2001 und 2004 wurden zwei Monde des Kleinplaneten entdeckt, die Romulus und Remus genannt wurden. Der Beobachtungsaufruf an die Profi- und Amateurastronomen Europas von der IOTA/ES ergab 32 erfolgreiche Beobachtungen, die teilweise auch die Monde detektieren konnten. Eine der erfolgreichen Beobachtungen wurde von unserem langjährigen AG- und Vereinsmitglied Sirko Molau am 500-mm-Spiegelteleskop der Archenhold Sternwarte ausgeführt.
Hier die wichtigsten Auszüge aus seinem Bericht:
Es ist Dienstagvormittag und ich bin auf „Heimaturlaub“ in Brandenburg. Da lese ich eine Mail von Konrad (Guhl) auf der Astro-Berlin Mailingliste: „Nicht vergessen, heute Nacht gibt es eine Sternbedeckung durch den Kleinplaneten Sylvia. Wer noch Fragen hat, soll sich melden.“
Ich google kurz und stelle fest, dass es „das“ Bedeckungsereignis des Jahres ist, weil die 286 km große Sylvia kein normaler Kleinplanet ist, sondern zwei kleine Monde hat (Remus und Romulus), die ggf. auch eine Sternbedeckung verursachen. Der Stern TYC 1932-00469-1 hat die 10. Größenklasse und der Helligkeitsabfall beträgt gut 3 mag, das sollte mit entsprechendem Equipment gehen. Die Wetteraussichten für die Nacht sind gut, ich habe in meinem bisherigen Astroleben erst eine Sternbedeckung durch einen Kleinplaneten beobachtet (2003 durch „Bertholda“ - mit Erfolg!) und ich habe Urlaub – warum also nicht? Das klingt nach einer interessanten Beobachtung und nach meiner bisherigen Erfahrung hat man eh die besten Chancen, wenn man möglichst schlecht oder gar nicht vorbereitet an so ein Unterfangen geht.
Leider habe ich jedoch im Urlaub keinerlei Equipment dabei. Also frage ich auf der Mailingliste zurück, ob jemand ein Fernrohr für mich hat und ich mich einer Beobachtergruppe anschließen kann. Die Mail geht jedoch nicht raus, weil yahoogroups an diesem Tag seinen Service eingestellt hat. Trotzdem melden sich Konrad und Nico (Wünsche) am Nachmittag per Mail. Beide wollen von ihren Privatsternwarten beobachten und haben leider kein Equipment parat, aber ich könnte es doch an meiner alten astronomischen Heimat, der Archenhold-Sternwarte versuchen!
...Konrad gibt mir noch den Hinweis, dass im Schrank im AG-Raum einige Kameras liegen: Eine Watec (kenne ich, aber ich habe keinen DVD Recorder da) und zwei USB-Kameras. Zum Aufzeichnen könnte ich FireCapture benutzen. Ich habe weder die Kamera noch die Software je benutzt, aber hauptsächlich geht es mir ja um die visuelle Beobachtung. Die Kamera wäre nur eine zusätzliche Option. Ein wenig Zeit habe ich auch noch, also lade ich mir die Software auf mein Notebook und schaue sie mir ein wenig an. Zum Glück hat sie einen „Demo-Modus“, denn das User Interface hat verdammt viele Einstellungen. So finde ich mich wenigstens ganz grob zurecht. Zuletzt lade ich mir noch die genauen Vorhersagen zum Ereignis (Zeitpunkt der Bedeckung in Berlin um 00:39:20 MEZ) und die Aufsuchskarten auf meinen Rechner und steige ins Auto.
… Ich gehe zum Fernrohrgebäude und schließe den AG Raum auf. Schön, der ist geheizt und es gibt sogar eine Kaffeemaschine. Ich gehe in die Kuppel und erkenne zum Glück fast alles wieder. Ich öffne den Kuppelspalt … und suche den Hauptschalter. Mist! Da, wo er vor 25 Jahren war, ist jetzt irgendein Steuerungskasten. Ich suche ihn und finde ihn nicht. Kurz bei Konrad angerufen und er verrät mir, dass der Hauptschalter jetzt im Vorraum ist. Außerdem muss ich die motorische Nachführung noch einschalten. Beide Schalter betätigt und siehe da: Die Kuppel dreht sich und die Nachführung läuft. Also alle Deckel vom Instrument entfernen und die Zwillinge suchen. Hmm, die stehen aber ganz schön knapp im Nordwesten über den Bäumen und die Grenzgröße ist bei dem dunstigen Berliner Himmel sehr bescheiden – so dicht am Horizont vielleicht 2 mag. Da fehlen dann noch 8 Größenklassen bis zum Stern – ob das ein 50-cm-Spiegel hinbekommt? Ich stelle Pollux ein und sehe erstmal nichts. Mist, ich habe doch noch einen Deckel vergessen! Danach funkelt er mich im Hauptrohr an. Und wie er funkelt! Ich versuche ihn zu fokussieren, aber bei dem Seeing bleibt er so groß wie ein Planetenscheibchen. Egal, es geht ja nicht um ein hochaufgelöstes Planetenfoto sondern eine Sternbedeckung.
Nachdem das Fernrohr läuft, gehe wieder ich in den AG-Raum. Es ist inzwischen 23 Uhr, also noch genug Zeit für Kameraexperimente. Schrank auf, Kamerabox gefunden. Box geöffnet - perfekt, alles beisammen. Ich schließe die Kamera an meinen Rechner an und starte die Software – nix. Hmm, vermutlich fehlt noch irgendein Treiber. Kurz gegoogelt, Treiber gefunden, heruntergeladen und installiert. Die Kamera läuft und ich sehe ein Bild. Top! Jetzt muss ich sie nur noch mit dem Fernrohr verheiraten. Im Schrank finde ich den passenden Adapter. Ich gehe zum Fernrohr, Okular ab, Kamera ran, Software starten. Ich sehe - nichts. Komisch, Pollux sollte im 50- cm-Spiegel wohl hell genug sein, dass man ihn leicht findet. Ich fahre den Fokus von einem Ende bis zum anderen – nichts. Ich prüfe nochmal visuell, ob der Stern wirklich mittig im Gesichtsfeld ist und schließe wieder die Kamera an – da pendelt plötzlich eine leichte Aufhellung durch das Gesichtsfeld. Ich versuche sie zu fokussieren und stelle fest, dass ich noch einen weiteren Zwischenstutzen benötige. Nachdem der eingebaut ist, bekomme ich Pollux scharf gestellt – sofern man von Schärfe reden kann. Das Gesichtsfeld ist nur wenige Bogensekunden groß und der Stern ein riesiger flimmernder Fleck. Aber egal, es geht prinzipiell, und es bleibt mir noch eine gute halbe Stunde bis zur Bedeckung.
Nun kommt der schwierigste Teil: Das Hopping zum Zielstern! Ich öffne die Sternkarte auf meinem viel zu hellen Notebookdisplay und versuche mich im Sucher zu orientieren: Wenn das Pollux ist, müsste das daneben Phi Geminorum sein. Oder doch der andere Stern? Wie ist das Bildfeld eigentlich orientiert? Ich versuche es eine Weile, aber dann gebe ich auf. Das wird nie was! Und bei dem Himmel ist es eh nahezu aussichtslos. Bleibt nur noch eine Option: Das Fernrohr hat irgendwann in den letzten 25 Jahren eine Schrittmotorsteuerung bekommen, deren Bedienung recht einfach zu sein scheint. Also suche ich mir schnell die Koordinaten von Pollux und TYC 1932-00469-1 raus, berechne die Differenz in Rektaszension (0h 36‘) und in Deklination (2° 4‘) in Excel und beginne die Zielposition per Handsteuerung anzufahren. Es ist 20 min nach Mitternacht. Ob die Steuerung funktioniert und die Koordinatendifferenz korrekt angezeigt wird – keine Ahnung. Ich benutze diese Technik zum ersten Mal! Zumindest bewegt sich das Fernrohr gaaanz laaaangsam in die richtige Richtung.
Es ist 10 min vor der Bedeckung und die Zielposition ist erreicht. Zumindest theoretisch. Im Sucher sehe ich nichts und im Hauptrohr sind schwach zwei Sterne zu erkennen. Ich entscheide mich für einen und fahre ihn in die Mitte des Gesichtsfeldes. Jetzt schnell wieder vom Okular zur Kamera gewechselt … nichts. Hmm, dann wird der Stern doch zu schwach sein. Kein Wunder bei diesem Himmel!
Es sind noch 5 min Zeit. Also nochmal zum Okular gewechselt, nochmal den Stern ganz exakt mittig eingestellt, nochmal zur Kamera gewechselt und siehe da – ein verwaschener Fleck pendelt am Bildfeldrand entlang. Ich hole ihn mit der Steuerung in die Mitte, fokussiere ihn nochmal so gut es geht und schaue auf die Uhr 0:37!
Ok, schnell noch in die Software geschaut, was ich an den Settings ändern sollte. Ich erhöhe die Integrationszeit auf 0,2 Sekunden, damit der Stern noch kräftiger ist. 0:38! Jetzt aber die Aufnahme starten. Es sind gerade mal noch 60s bis zum vorhergesagten Bedeckungsereignis!
Ich entscheide mich, den Stern visuell nicht durch das 15-cm-Leitrohr zu beobachten, weil er dort nur ganz schwach zu erahnen ist. Außerdem habe ich Angst, am Fernrohr zu wackeln und den Stern wieder zu verlieren. Lieber schaue ich mir das Livebild auf meinem Notebook an. Die Chance, den richtigen Stern auf dem Chip zu haben ist … gering. Ziemlich gering! Aber egal. Ich habe jetzt einen Stern und wenn er es nicht ist, dann war es trotzdem erstaunlich, dass ich überhaupt so weit gekommen bin. Und Spaß hatte ich auch dabei!
Ich starte den Voice Recorder auf meinem Handy für den Fall, dass ich visuell etwas sehe. Die Computeruhr schaltet auf 0:39 und ich zähle die Sekunden: 1 .. 2 .. 3 .. 15 .. 16. Na ja, wäre auch zu schön gewesen, denke ich. 18 .. 19 .. weg. Er ist weg. Der Stern ist ausgeknipst! Ich traue meinen Augen nicht und zähle weiter: 37 .. 38 .. 39 .. 40 – da ist er wieder. Das gibt es doch gar nicht. Ich habe wirklich den richtigen Stern erwischt und ich habe die Bedeckung aufgezeichnet!
Ich brauche ein paar Minuten um zu realisieren, was ich da gerade für einen Glückstreffer gelandet habe. Ich lasse die Kamera zur Sicherheit noch 5 min weiterlaufen, da ich nicht weiß, wie lange vorher oder nachher die Monde den Stern bedecken würden, falls ich denn zufällig auch noch an der richtigen Stelle wäre. Der Stern bleibt aber da. Auch gut – endgültig werde ich es wissen, wenn die Aufnahme ausgewertet ist. Ein paar Augenblicke habe ich ja nicht auf den Monitor geschaut.
Ich schließe die Kuppel, decke die Spiegel ab, verstaue die Kamera wieder im Schrank und gehe zurück zum Hauptgebäude. ... Unterwegs rufe ich Konrad an und berichte ihm von meinem Erlebnis. Er war leider nicht erfolgreich – er musste sein Fernrohr aufgrund der Horizontsicht an einen anderen Standort bringen. Alles war perfekt vorbereitet: Kamera, Zeitsynchronisation, Fernrohr – am Ende fehlten jedoch 30 min, um den Stern einzustellen. Aber eigentlich waren wir uns schnell einig, warum seine Beobachtung im Gegensatz zu meiner scheitern musste: Sie war einfach viel zu gut vorbereitet … Und meine Erfolgsquote bei der Beobachtung von Sternbedeckungen durch Kleinplaneten bleibt bei 100% !
Modell des Hauptkörpers mit den Linien der Bedeckungsbeobachter:
Quelle: E. Frappa, euraster.net
DAMIT - Database of Asteroid Models from Inversion Techniques
Einleitung: Konrad Guhl
Beobachtungsbericht (auszugweise): Sirko Molau
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