Dieter B. Herrmann
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts übte die neue deutsche Reichshauptstadt Berlin eine magische Anziehungskraft auf Künstler, Wissenschaftler, Bankiers und Industrielle aus. Der große Nachholbedarf Deutschlands auf allen Gebieten - eine Folge der lang anhaltenden Zersplitterung in zahlreiche Kleinstaaten - löste eine allgemeine Aufbruchstimmung aus, die kreative Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Gesellschaft ergriff.
So kam damals auch ein junger Mann namens Friedrich Simon Archenhold nach Berlin, um sich dort dem Studium der Astronomie und Naturwissenschaften zu widmen.
Die beherrschende Persönlichkeit auf diesem Gebiet an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität (Heute: Humboldt-Universität) war der Direktor der Universitätssternwarte Wilhelm Förster. Dieser Mann verfügte über großen Weitblick und pflegte nicht nur die Astronomie im engeren Sinne, sondern wirkte auch als einflussreicher Wissenschaftsorganisator und Vorkämpfer für die Verbreitung von Wissen unter der Bevölkerung. Dabei folgte er einer bereits von Alexander von Humboldt mit dessen „Kosmos-Vorlesungen“ in Berlin begründeten Tradition. Über den Einfluss, den Förster auf Archenhold ausgeübt hat, schreibt dieser: „Nicht nur förderte er meine Studien auf astronomischem Gebiet, er legte auch den Keim zu meinen volksbildenden Bestrebungen … in seinen Vorträgen verflocht er fachmännisches Wissen mit allgemein ästhetischen und philosophischen Ansichten. Er gab nicht nur positives Wissen, sondern erweiterte auch den Gesichtskreis seiner Hörer“.1
Förster ermöglichte es Archenhold auch, eine kleine Außenstelle der Berliner Sternwarte im Grunewald vor den Toren der Stadt einzurichten, wo er sich dem damals noch jungen Gebiet der Himmelsfotografie mit Porträtobjektiven widmete. Förster berichtete regelmäßig in der „Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft“ von den Aktivitäten dieser Außenstelle.
Am 27. Oktober 1891 gelang Archenhold dort eine Entdeckung, die für seinen weiteren Lebensweg bestimmend werden sollte: er fand einen „ausgedehnten“ Nebel im Sternbild Perseus auf einer 32 Minuten belichteten Aufnahme, was er durch 18 weitere Fotografien bestätigen konnte. Der damalige Herausgeber der „Astronomischen Nachrichten“, A. Krueger, wollte den Nebel jedoch nicht als „neu“ gelten lassen und so entschloss sich Archenhold, den Direktor der Lick-Sternwarte in den USA, E. S. Holden, zu bitten, visuell mit dem lichtstarken 91-cm-Refraktor der Lick-Sternwarte nach dem Nebel zu suchen. Aus einem Schreiben von Archenhold an Holden vom Juni 18922 wissen wir, dass Holden diesem Wunsch nachgekommen ist. Krueger war aber immer noch nicht überzeugt, so dass Archenhold schließlich in seiner Publikation von einem „ausgedehnten“ Nebel statt von einem „neuen“ sprechen musste.3
Bei dieser Gelegenheit wurde Archenhold schmerzlich bewusst, dass es in Deutschland, ungeachtet seiner großen Traditionen auf den Gebieten der optischen Industrie und Feinmechanik, an einem leistungsfähigen Teleskop mangelte, mit dem man zeitgemäße Fragen der Astronomie beantworten konnte. Diesem Übelstand wollte Archenhold entgegenwirken.
Dem Jahresbericht der Berliner Sternwarte für 1893 können wir entnehmen, dass sich Archenhold seit dieser Zeit mit dem Projekt eines „größeren Fernrohres mit kurzer Brennweite“ beschäftigte.4
Damals plante man in Berlin gerade eine große Gewerbeausstellung, die anlässlich des 25-jährigen Bestehens Berlins als Reichshauptstadt 1896 stattfinden sollte. Im Aufruf des Ausstellungskomitees aus Vertretern der Berliner Industrie- und Geschäftswelt vom Jahre 1893 heißt es dazu:
„Berlin muss dartun, dass es nicht nur die größte Stadt des deutschen Reiches ist, sie muss auch Zeugnis von ihrem Fleiß und ihren Fortschritten auf allen Gebieten ihres rastlosen Schaffens ablegen“.5
Archenhold muss schon damals die Idee entwickelt haben, seine Idee eines großen Fernrohrs mit dieser Gewerbeausstellung zu verbinden. So finden wir ihn bereits 1893 in Jena bei Ernst Abbe und Otto Schott, wo er die Herstellung eines 125-cm-Objektivs erörtert, - des größten Objektivs der Welt. Doch er muss erfahren, dass dafür rd. 1000 kg Flintglas und 530 kg Kronglas benötigt würden, wofür die in Jena vorhandenen Anlagen nicht hinreichten. Das schreckte ihn jedoch nicht. Auch an die Frage der Finanzierung ging er unbekümmert heran. Er hoffte, sowohl beim Berliner Magistrat, als auch beim Vorstand der Gewerbeausstellung und womöglich sogar beim Kaiser offene Ohren zu finden. Sein Gedanke war, das Instrument als attraktives Ausstellungsstück in die Gewerbeausstellung einzugliedern und auf diese Weise einen Teil der Kosten oder sogar mehr als die Kosten wieder einzunehmen.6
Von den technischen Problemen des Vorhabens abgesehen, waren die Aussichten für eine staatliche Finanzierung allerdings von Anbeginn ungünstig, weil das bereits weltberühmte Astrophysikalische Observatorium Potsdam unweit Berlins unter seinem Direktor H. C. Vogel ebenfalls den Bau eines großen Refraktors anstrebte. Selbst dafür waren die Mittel jedoch für 1891 und für 1892 zunächst abgelehnt worden. Daran hatte auch ein Besuch der Potsdamer Einrichtungen durch den Kaiser im Jahre 1891 nichts geändert.Um seinem Ziel näher zu kommen, arbeitete Archenhold nun eine Denkschrift aus, die er zuvor mit dem Physiker Otto Lummer abgesprochen hatte, einem engen Mitarbeiter von H. v. Helmholtz, dem Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Außerdem diskutierte er sein Vorhaben mit dem Berliner Akademie-Astronomen A. v. Auwers und natürlich mit W. Förster. Letzterer - bis zur Berufung Vogels Mitglied eines Dreier-Direktoriums des Potsdamer Astrophysikalischen Observatoriums - riet ihm dringend, sich mit Vogel abzustimmen. Gerade das jedoch lag weniger in Archenholds Absicht, sah er doch hier bereits erste Probleme auf sich zukommen.
Förster setzte sich auch direkt für das Vorhaben seines Schülers ein, indem er es dem Preußischen Kultusministerium erläuterte. Von dort kam jedoch nur die Nachricht zurück, man wünsche dem Unterfangen Gelingen. Von Finanzierungshilfen war mit dem Hinweis auf das Potsdamer Teleskop keine Rede.
Archenholds Denkschrift war inzwischen dank Lummers Unterstützung von Helmholtz gegengezeichnet worden. Dieses Papier leitete Archenhold bedenkenlos an die Firma Steinheil, mit der er bereits seit längerem wegen der Herstellung des Objektivs aus den Jenenser Rohlingen in Verbindung stand. Einige Rohlinge hatte Schott ohne offiziellen Auftrag und Klärung der Kostenfrage bereits hergestellt. Offenbar hatte es Archenhold mit seiner begeisternden Art verstanden, Schott davon zu überzeugen, dass er die Finanzierung schon klären würde.
Wegen der immer noch diskutierten technischen Probleme keimte bei Archenhold nun die Idee auf, vielleicht auch ein ganz anderes Fernrohr bauen zu lassen als ursprünglich gedacht. Neben dem kurzbrennweitigen Teleskop mit einer 125-cm-Linse kam nun auch ein extrem langbrennweitiges Instrument ins Gespräch. Es sollte mit einem kleineren, dafür aber technisch einfacher machbaren Objektiv versehen werden.
Am 27. September 1894 hielt Archenhold in Wien auf der Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte einen Vortrag über die beiden Varianten seines geplanten Fernrohrs mit den extrem unterschiedlichen Öffnungsverhältnissen 1:4 und 1:70. Auf der Rückreise über München nahm er dann Steinheil mit nach Jena, wo sie gemeinsam aus einer größerer Zahl anpolierter Scheiben zwei geeignete aussuchten.
Die Finanzierung blieb weiter unklar. Helmholtz war am 8. September gestorben. An staatliche Mittel war nicht zu denken. Bis zur Eröffnung der Gewerbeausstellung verblieben nur noch 21 Monate!
Im November zerschlug schließlich H. C. Vogel alle Finanzierungshoffnungen aus öffentlichen Mitteln endgültig durch eine Eingabe an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts des Kaisers. Darin beklagte er nicht nur den schleppenden Fortgang der Arbeiten am Potsdamer Refraktor, er kam auch auf Archenholds Projekt zu sprechen und erteilte ihm eine drastische Absage: „Nach dem, was bisher über die Konstruktion des Instruments bekannt geworden ist, würde dasselbe wohl geeignet sein, ein interessantes Ausstellungsobjekt abzugeben und dem Laien durch seine Größe und eigenartige Einrichtung zu imponieren, wissenschaftlich würde es ohne Bedeutung bleiben“.7 Dann folgt auch noch ein persönlicher Seitenhieb der anerkannten Autorität auf Archenhold: an der Spitze des Unternehmens, schreibt Vogel, stünde ein junger Mann, der einige Semester Astronomie gehört habe und seither sich an einer kleinen Sternwarte mit Forschungen völlig untergeordneter Art beschäftige. Man könne ihm zwar Begeisterung nicht absprechen, er verfüge aber weder über Erfahrungen in astronomischer Technik, noch besitze er zureichende Kenntnis von den astronomischen Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft. Abgesehen von der Konkurrenzsituation zwischen Vogel und Archenhold im Kampf um Finanzmittel ist die Einschätzung des Potsdamer Astrophysikers nicht ganz unzutreffend gewesen. Die Vogelsche Eingabe verhallte nicht ungehört. Ein neuer Vorstoß des von Archenhold gegründeten „Komitees für das Treptower Riesenfernrohr“ führte am 17. Januar 1895 zu einem negativen Gutachten der „Preußischen Akademie der Wissenschaften“.8 Das Potsdamer Teleskop hingegen erhielt 870 000 Mark – allerdings auch nur in fünf Jahresraten.
Inzwischen hatte auch der Ausschuss der Gewerbeausstellung erklärt, er könne sich nicht nennenswert an den Kosten für das Fernrohr beteiligen. Doch immerhin erhielt Archenhold folgende Zusagen:
Inzwischen wusste Archenhold, dass er mit insgesamt 500 000 Mark an Gesamtkosten zu rechnen hatte. Dieser Betrag sollte nun - wenigstens zur Hälfte - durch Spenden aufgebracht werden. Zu diesem Zweck hatte das Komitee im November 1894 einen „Aufruf zur Finanzierung des Archenholdschen Riesenfernrohrs“ veröffentlicht. Darin wird von einem „patriotischen Werk“ gesprochen, das der Wissenschaft diene und der Berliner Gewerbeausstellung zusätzliche Anziehungskraft verleihen könne. Die gespendete Summe solle durch die „Eintrittsgelder der belehrungseifrigen Ausstellungsbesucher“ wieder eingenommen werden, wahrscheinlich sogar „mit einem der Riskoprämie angemessenen Zuschlag“.9 Die andere Hälfte der Summe erwartete man weiterhin von der Regierung.
Zu diesem Zeitpunkt war nicht nur Schott, sondern auch Steinheil bereits in die Arbeiten eingetreten, ohne dass auch nur ein Pfennig geflossen war. Deshalb schreibt Steinheil auch im November 1894 an Archenhold: „Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, dass ich nur nach Abschluss eines bindenden Vertrages weitere Schritte tun kann“. Archenhold wirft nun sogar seine persönliche Integrität in die Waagschale, um den Fortgang der Arbeiten zu sichern und schreibt an Steinheil: „…unter keinen Umständen soll jemand durch mich geschädigt werden, und wenn ich mein ganzes Leben daran zu tragen hätte, wenn ich auch erst in vielen Jahren Ihnen Ihren Verlust bezahlen könnte“.10
Tatsächlich erteilte Archenhold am 15. Juli 1895 sowohl an Schott als auch an Steinheil verbindliche Aufträge, letzterer in Höhe von 36 000 Mark. Bis zur Eröffnung der Gewerbeausstellung verblieben jetzt nur noch 10 Monate!
Die Sicherheiten wurden von Archenhold mit dem Hinweis auf die Einnahmen während der Ausstellung umrissen. Mit dem Konstrukteur und Erbauer der Montierung, dem Maschinenbauer Paul Hoppe in Berlin, war gerade ein ähnlicher Vertrag abgeschlossen und sogar eine erste Rate gezahlt worden, wahrscheinlich aus den bereits eingegangenen Spenden.
Es ist fast selbstverständlich, dass man mit dem Bau des Fernrohrs noch inmitten der Arbeit steckte, als die Gewerbeausstellung am 1. Mai 1896 eröffnet wurde. Erst als die Ausstellung ihre Tore wieder schloss, konnte im Herbst 1896 die Fertigstellung des Treptower Riesenfernrohr vermeldet werden. Somit war auch ein wesentlicher Teil des Finanzierungsplanes reine Makkulatur geblieben. Wieviel an Spendenmitteln bis dahin zusammengetragen worden war, verschweigen die Quellen. In einem Protokoll der Sitzung der Interessenten und Zeichner zum Garantiefonds vom 27. Oktober 1896 heißt es dazu lediglich: „dass das Unternehmen … in pekuniärer Hinsicht bis jetzt allerdings nicht die Erfolge gezeitigt habe, welche man erwartet und zwar infolge der verspäteten Fertigstellung der Anlage; im übrigen habe dasselbe, was den wissenschaftlichen Wert und die Bedeutung anbetreffe, alle Erwartungen übertroffen“.11 Letzteres wird man getrost bezweifeln dürfen. Den Zeichnern und den beteiligten Firmen wird ausdrücklich gedankt, sie hätten sich „hochherzig“ verhalten und jede ihrer Arbeiten unter „Hintansetzung“ eigener Interessen ausgeführt, - ein deutlicher Hinweis auf die noch vorhandenen Außenstände.
Die Berliner Gewerbeausstellung sollte nun aus ihren Rechten und Pflichten entlassen werden. Von den 30 000 Mark, die sie beigesteuert hatte, erhielt sie 10 000 Mark zurück. Die Restsummen des Garantiefonds sollten von den Zeichnern sofort voll eingezogen werden. „Voll“? Doch bestimmt weniger statt - wie in Aussicht gestellt - mehr als eingezahlt worden war.
30 Jahre später kam Archenhold in einem Jubiläumsartikel noch einmal auf die Finanzprobleme von damals zurück und erklärte, die Summe von 250 000 Mark sei durch „Vorträge, Gönner und einen Beitrag der Berliner Gewerbeausstellung“ aufgebracht worden.12 Und die restlichen 250 000 Mark? Von ihnen ist in keinem Dokument jemals wieder die Rede. Das Riesenfernrohr – eine Gaunerposse? Wahrscheinlich ja. Vermutlich hat zum Schluss angesichts der Begeisterung Archenholds für sein Projekt niemand mehr Anklage erheben gemocht, dass er unter falschen Versprechungen zu „Dumpingpreisen“ gearbeitet hatte.
Ursprünglich sollte das Fernrohr nach Beendigung der Gewerbeausstellung wieder abgetragen und im Grunewald neu aufgestellt werden. Jetzt aber ging es darum, die erwarteten Einnahmen zu sichern, auch wenn die Ausstellung bereits geschlossen war. Zu diesem Zweck bedurfte es einer Genehmigung der Stadtverordnetenversammlung des Berliner Magistrats. Deshalb wendete sich der „Arbeitsausschuss der Berliner Gewerbeausstellung“ mit einer Eingabe an den Magistrat, in der das Verbleiben des Fernrohrs „auch nach Schluss der Ausstellung bis auf Weiteres“ als wünschenswert bezeichnet wurde. Am 21. November leitete der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung einen entsprechenden Beschluss zu, dem die Versammlung zustimmte. Das Komitee hatte einen geringen Pachtzins zu zahlen und musste sich bereit erklären, das Teleskop bei Widerruf zu beseitigen und den Park auf eigene Kosten wieder herzustellen.13
Das war praktisch die Geburtsurkunde der heutigen Archenhold-Sternwarte. Allerdings nur aus retrospektiver Sicht.
Ende Mai 1898 bot das Komitee der Stadt Berlin das Fernrohr zu einem Selbstkostenpreis von insgesamt 289 575,88 Mark an. Doch die Stadt lehnte ab.
Damit allerdings aus dem Fernrohr eine Sternwarte werden konnte, erwies sich der für den Sommer der Gewerbeausstellung errichtete Holzbau nach einigen Jahren als ungeeignet. So entstand die Idee, das Teleskop mit einem großzügig angelegten Steingebäude zu umgeben, woraus sich neue Finanzierungsprobleme ergaben. Allerdings war die Sternwarte inzwischen eine über die Stadt Berlin hinaus bekannte Einrichtung, die bereits in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens 200 000 Besucher verzeichnet hatte. Betreiber des Instituts war ein Verein mit Archenhold als Vorsitzendem. So hoffte Archenhold diesmal auf größere öffentliche Unterstützung bei der Finanzierung eines Neubaus. Da jedoch die Stadt Berlin keinerlei Interesse an der Übernahme der Einrichtung zeigte, rief Archenhold 1906 einen „Ausschuss für den Baufonds der Treptow-Sternwarte“ ins Leben, der sich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit wendete. Darin heißt es u.a.: „Somit ergeht unser Ruf an alle, denen das Wort Aufklärung nicht bloßer Schall ist, und die ein diesem Ziel geweihtes Unternehmen in Deutschland nicht verkommen lassen wollen. Mögen sie ihre ideale Gesinnung durch tatkräftige Hilfe beweisen“.14
Inzwischen hatte Archenhold im Jahre 1900 die Zeitschrift „Das Weltall“ gegründet. Dort führte er nun auch öffentlich Buch über die eingegangenen Spenden. Obschon die meisten Geber nur kleine Beträge zeichneten - ein Fabrikbesitzer mit 1000 Mark ist die Ausnahme15 - kam doch mit der Zeit einiges Geld zusammen. Ungewöhnliche Ideen führten auch zu größeren Einnahmen: so trat z.B. am 4. November 1906 die weltberühmte Sängerin der Königlichen Hofoper (Heute: Deutsche Staatsoper Berlin) Emmy Destinn in einer Matinee zugunsten des Sternwarten-Neubaus auf. Diese Veranstaltung brachte einen Erlös von 3263,90 Mark.16
Um die Öffentlichkeit zu ermuntern (und vielleicht auch zu beschämen), veröffentlichte Archenhold im „Weltall“ unablässig Nachrichten über das Mäzenatentum in den USA, besonders über die Aktivitäten von Andrew Carnegie auf diesem Gebiet. Jede einzelne Summe wird mit Zweck und Höhe in langen Listen aufgeführt.17 Besonderes Interesse verdienst in diesem Zusammenhang auch die Besprechung zweier Aufsätze von Carnegie, die 1901 unter dem Titel „Die Pflichten des Reichtums“ in deutscher Sprache erschienen waren. Archenhold hebt in seiner Rezension hervor, dass Carnegie in der „zweckmäßigen Verwendung der Reichtümer die vornehmste Aufgabe unserer Zeit“ erblicke. Drastisch formuliert Carnegie, es wäre besser, die Millionen der Reichen ins Meer zu werfen, „als dass sie verspendet werden, um Faulenzer, Trunkenbolde und Unwürdige noch zu bestärken“. Hingegen lobt er die Unterstützung wissenschaftlicher Bibliotheken und Institutionen, weil diese dazu beitrügen, Bildung zu verbreiten und Aufstiegschancen zu eröffnen. Archenhold schließt seine Besprechung mit den Worten: „Möge das Buch dazu beitragen, auch bei uns in Deutschland das Gewissen all derer zu wecken, die Vermögen besitzen, auf dass sie es zum Segen der Menschheit richtig verwenden“.18 Ob er tatsächlich glaubte, dies würde kurzfristig geschehen, sei dahingestellt. Sicherer schien es Archenhold, sich direkt an Carnegie zu wenden. Das hatte immerhin zur Folge, dass Archenhold 1907 zur Eröffnung des Carnegie-Instituts in die USA eingeladen wurde19 und den amerikanischen Industriellen später sogar in der Treptower Sternwarte begrüßen konnte.
Was nun die Finanzierung des Neubaus anlangt, so konnte Archenhold schließlich im September 1907 immerhin auf eine Summe von fast 100 000 Mark verweisen. Zwischenzeitlich hatte die Stadt Berlin den Verein mit einer jährlichen Subvention von 12 000 Mark unterstützt und ihm das Gelände für die Dauer von 30 Jahren zu einem symbolischen Mietzins von jährlich 20 Mark zur Verfügung gestellt. Außerdem hatte sich die Preußische Pfandbriefbank bereit erklärt, ein Darlehen in Höhe von 100 000 Mark zu gewähren, falls der Magistrat bereit wäre, den jährlichen Zinssatz von 4,5% aufzubringen.
So geriet die Stadt mehr und mehr in den Sog des Unternehmens. Bei der Grundsteinlegung für den Neubau am 12. Mai 1908 war der Berliner Oberbürgermeister zugegen! Auch wurde die Anlage eines Zufahrtsweges auf städtische Kosten genehmigt.
Durch die Abnahme von 100 000 Eintrittskarten im Voraus hatten die Berliner Gewerkschaften zudem einen bedeutenden Beitrag zur finanziellen Absicherung der Baukosten getragen. Der Vertreter der Gewerkschaft sprach gar von einem „innigen Band“ zwischen Sternwarte und Berliner Arbeiterschaft, das er auch künftig erhalten wolle.
Damit war die Geschichte der Finanzierung einer großen Volksbildungseinrichtung, die mit der Idee eines Einzelnen begonnen hatte, vorläufig zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen.
Archenhold hatte sich zwar letztlich durchgesetzt, aber auch viel gelernt über das fehlende deutsche Mäzenatentum. Und so sprach er bei der Einweihung des Neubaus auch unumwunden aus, was er nun kommen sah: „Die Epoche der Hindernisse ist … überwunden, jetzt beginnt die Periode der Schwierigkeiten“,20 womit er Recht behalten sollte.
Literatur
Zuerst erschienen in Gudrun Wolfschmidt (Hrsg.), Astronomisches Mäzenatentum,
Proceedings des Symposiums in der Kuffner-Sternwarte, Wien 7.-9. Oktober 2004 (=Nuncius Hamburgensis, Bd. 11, Norderstedt 2008, S. 193-203