Förderverein der Archenhold-Sternwarte
und des Zeiss-Großplanetariums Berlin e.V.

Dr. Jürgen Rose

Nicht-optische Astronomie -
Arbeitsfeld von Amateurastronomen an der Archenhold-Sternwarte

Das Koinzidenz-Zählteleskop,

ein witterungsunabhängiges Registriergerät für die ionisierende Umgebungsstrahlung einschließlich der Komponenten sekundär-kosmischer Strahlung.

Mit der Koinzidenzmethode wird der kosmische Strahlungsanteil selektiert. Bei dieser Messmethode werden zeitgleich registrierte Zählimpulse von hintereinander angeordneten und voneinander unabhängigen Geiger-Müller-Zählstellen ausgewertet. Durch die Bewegung der Montageschiene kann die Höhenwinkelabhängigkeit des Auftreffens der Partikel erfasst werden, die durch Effekte der atmosphärischen Streu-Bündelung und Ausrichtung entlang des Erdmagnetfeldes verursacht ist.

(messtechnologisch bedingt: Aufbau seit 1996 unverändert belassen)

 

Was bedeutet "Radioaktivität"?

  • Spontaner Zerfall bestimmter Atomkerne, meist unter Aussendung von Alpha-, Beta- und/oder Gammastrahlung.
  • Solche instabilen Atomkerne (sog. Radionuklide) kommen natürlich vor oder werden künstlich durch Kernreaktionen erzeugt.
  • Die Umwandlung erfolgt in sog. Zerfallsreihen, bis ein stabiles Endprodukt entsteht (Halbwertzeiten in Sekundenbruchteilen bis 1010 Jahre).
  • Ionisierende und energetische Wechselwirkung auf die Umgebung.

 

Space Weather – Was ist das?

Phänomen:
Strahlung und atomare Teilchen von den Sternen verursachen

  • optische (z. B. Polarlicht), elektronische (z. B. Ausfall statischer Halbleiterspeicher - SRAM),
  • elektrische (z. B. Sättigung, Zerstörung von Hochspannungstransformatoren und Pipelines durch GICs - Geomagnetically Induced Current),
  • elektrostatische (z. B. Aufladung von Satelliten) und wahrscheinlich
  • meteorologische sowie
  • gesundheitliche Erscheinungen und lösen Schäden aus.

Phänomenologie:

  • Weltraum-"Klima"
    galaktische und extragalaktische Strahlung und (nahezu beständiger) Strom energiereicher Partikel
  • Weltraum -"Wetter"
    zeitlich, energetisch und räumlich variierende solare Strahlung und Partikelströme in Richtung Erde

In Abhängigkeit von verschiedenen solaren Aktivitäten wird das "Klima moduliert" → zus.gefasst: Space Weather.

 

Gemittelte jährliche natürliche Strahlenbelastung: Hauptkomponenten der Umweltradioaktivität

Verteilung der natürlichen Strahlenbelastung

Sekundär-kosmische Strahlung*
Gammastrahlung aus dem Erdboden
(eingeatmetes) Radon aus dem Erdboden und Gesteinen
Radionuklide im Menschen
*) auf Meeresniveau: Myonen, Hadronen, Elektronen, Photonen

 

Quellen primärer kosmischer Strahlung

 

Energiebereich

Kerne aktiver Galaxien

≈ 1020eV

Quasare

Pulsare

:

Supernova-Explosionen

≈ 1014eV

Sonne (in Abhängigkeit vom Aktivitätszyklus)

≈ 108eV

 

Energieverteilung:

... 1014eV: relative Isotrophie und Homogenität (> 99%),
    Verlust der Richtungsinformation durch homogene und irreguläre kosmische Magnetfelder
... 1018eV: Diskontinuität,
    Beispiel: Cygnus-Region in der Milchstraße

Vergleich:

Energie der kosmischen Strahlung z. B. 1020eV* Energie eines 500g schweren Apfels nach freiem Fall aus einer Höhe von 30mx

*) Im Falle von Elementarteilchen (z. B. Protonen, m ≈ 10-27kg) ist diese Energie allerdings auf einen unvorstellbar kleinen Raum (Durchmesser < 10-15m) konzentriert!

größte irdische Beschleuniger ≈ 8 * 1011eV

 

Der relativistische Effekt der "Lebensdauerverlängerung" von Myonen und deren energetische Wechselwirkung

physikalische Zerfallszeit von Myonen ≈ 2,2μs (Beispiel)
energetische Geschwindigkeit ≈ 2,95.108m/s = 295.000km/s
(98% der Lichtgeschwindigkeit)
→ resultierender Weg in der Atmosphäre ≈ 650m

Aber:
Myonen (μ-Mesonen) und deren Umwandlungprodukte sind auf Meeresniveau durch z. B. Lichtblitz- und Elektronenbildung detektierbar (NaJ-, Plastik-Targets, Szintillationszählung), sind Bestandteil sekundär-kosmischer Strahlung, besitzen ca. die eine 210fache Masse von Elektronen mit der Ladung e-.
Die Dicke der durchgeschlagenen Luftschicht liegt um ein Vielfaches höher, der relativistische Effekt "vergrößert" deren Lebensdauer auf ≈ 100μs, d. h. um das Fünzigfache, damit detektierbar auf Meeresniveau. Für das Myon scheint der Weg entsprechend verkürzt.

Für energetische Wechselwirkungen (Ionisation) sind diese Teilchen allerdings viel zu schnell und instabil. Eine direkte Umwandlung in elektrisch nutzbaren Strom ist derzeit nicht vorstellbar. Fantastisch wäre es, wenn die Mindesteintrittenergie der Sekundärstrahlung von 3 * 109eV zumindest teilweise nutzbar wäre…

 

Experimentelle Hochenergie-Astrophysik

Im Vergleich zu optischen Instrumenten ist der Aufbau von Teleskopen für kosmische Strahlung wesentlich komplexerer, da

  • sie ein extrem großes Durchdringungsvermögen, folglich geringe Wechselwirkung besitzt, weder reflektiert noch gebündelt werden kann und sehr hohe Energien (Sekundärkomponente > 3 * 109eV) gemessen werden müssen.
  • aufgrund extrem niedriger Teilchenflüsse sehr große Detektorflächen (zum Teil km2) benötigt werden.
  • sie aus unterschiedlichen, aber zu selektierenden Teilchen besteht (Ruhemasse, Ladung, Spin usw.).

 

Kosmische Strahlung - wesentliche Erkenntnisstufen

1912' V. Hess:' Ballonflüge – Nachweis ionisierter Kerne mit Ereignisraten von 1000 * cm-2 * s-1 Energiemessungen anfänglich mit Hilfe von z.B. Quadranten-Elektrometern
1937 Entdeckung des Myon (elektrische Ladung = Elektron, Masse ca. 200 * {Masse v. Elektron}, Lebensdauer im ps-Bereich)
Primärmessungen
1946 S. E. Forbush: Entdeckung der Eruptions- (Flare-) Beschleunigung auf Ekin. min. <= 8E+06eV
  E. Fermi: Spiegel- / Stoßfront-Beschleunigung
  A. Ehmert; J. A. Simpson; P. Meyer: Theoretische Basis für die Ausbreitung im interplanetaren Plasma- und Magnetfeld sowie für magnetisierte Plasmen der Sonnenchromosphäre und -korona auf Werte im Bereich Ekin. = 1GeV … 10GeV
1982 Chicagoer "Ei" (Gas-Cerenkov-Detektion bei Dielektrikum-Übergangs-Strahlungen im Röntgenbereich)
1983 JACEE-Experiment (Ladungsmessung im energetisch bremsenden Target mit anschließender Spurkammer-Aufzeichnung, Ekin. < 100 TeV)
Sekundärprodukte und Schauer
1947 Entdeckung des π-Meson (Wechselwirkungsprodukt aus kosm. Strahlung und O2/N2 derErdatmosphäre)
1989 CASA-MIA-Luftschauer-Array (Utah, Großflächen-Szintillationszählung),
HEGRA (zusätzlich: Cerenkov-Zählung, sog. Extended Air Showers, EAS)
  "Fly's Eye"-Detektoren (Fluoreszenzstrahlungs-Messung)
1990 KASCADE (Ausdehnung für Ekin. > 3E+15eV)
1995' Auger-Projekt '(Fluoreszenzstrahlung und Zählteleskope auf Flächen oberhalb von 3000 km2 Ausdehnung, auf der Nord- und Südhalbkugel)

→ Die theoretischen Ansätze und Meßverfahren entsprechen denen der Hochenergie-Kernphysik.

 

Nebelspur eines Mesons
Nebelspur vom Zerfall eines μ-Mesons in ein Elektron und zwei Neutrinos
(Neutrinos sind in Diffusions-Nebelkammern nicht sichtbar)

 

Koinzidenz-Zählteleskop

Die Registrierungen der Einzelzählstellen N1 und N2 sowie der abgeleiteten Koinzidenz-Zählimpulse werden unterscheidbar akustisch signalisiert.

Die Berechnung des örtlich definierten Radianten maximaler Zählraten (d. h. Impulse pro Zeitintervall) in Funktion zur Zenitdistanz ζ für einen bestimmten Messort der geomagnetischen Koordinate φMag - bzw. wegen des Winkels α für den geografischen Ort der Breite φGeo - erfolgt wegen des elektrodynamischen Antriebs auf elektrische Komponenten unter Verwendung der Definitionsgleichung für die Inklination β:

tanβ = E⊥/E= = 2 * tan|φMag|=2 * tan(|φGeo| + 15°) (1)
β = arctan { 2 * tan (|φGeo| + 15°)}
E⊥, E= – vertikaler bzw. horizontaler Feldvektor

Für den Messort Berlin folgt daraus für den Ort maximaler Zählraten wegen der Ausrichtung entlang der Feldlinien für die Zenitdistanz ζ ≈ 11,1° bzw. für die Erhebung über den Messhorizont δ ≈ 78,9°.*)

*vergl. Anzeige des auf dem Rechnergehäuse aufgestellten Inklinatoriums

The dipole-electromagnetic earth field

The figure does not illustrate the obliquity but the deviation α of angular correlation between axis of rotation and rectangular coordinate on magnetic equator.

 

Zusammengefasst wird die Bahn eindringender elektrisch beeinflussbarer Teilchen durch drei Bewegungskomponenten charakterisiert:

  • Drehung um die magnetischen Feldlinien auf Bahnen mit dem Radius rL (Larmor-Radius),
  • fortschreitende Bewegung entlang der magnetischen Feldlinien,
  • tangentiale Drift im Erdmagnetfeld.

Die Zenitwinkelabhängigkeit des Radianten maximaler Zählraten für Partikel sekundärer Ereignisse wird weiterhin durch deren Verweilzeit, Eindringtiefe und Folgeprodukte aus den ursächlich primären Teilchen in die Atmosphäre bestimmt. Mit zunehmender Eindringtiefe folgen in abnehmender Häufigkeit Zusammenstösse mit Kernen der Luftmoleküle in Zenitnähe. Aus dem Schrotkugel-Modell folgt daraus eine horizontwinkelabhängige Streu- Bündelung der Partikel.

 

Abfolge monatlich gebildeter Höhenprofile

Vorgehensweise: Summierung der jeweils unter gleicher Zenitdistanz detektierten Koinzidenz-Zählimpulse (unter öffentlicher Beobachtung, konstante Messdauer 5 Minuten pro Winkelerhebung, wegen "Besuchergeduld"), bezogen auf die Anzahl der im Berichtszeitraum erfolgten winkelaufgelösten Einzelmessungen…

…sowie Ausweitung auf Jahres-Berichtszeiträume:

 

Erweiterung historischer Messungen:

vgl.: Heisenberg, W.: Vorträge über kosmische Strahlung. Gehalten im Max-Planck-Institut für Physik Göttingen.
Springer-Verlag, 2. Auflage 1953

 

Archenhold-Sternwarte: Zählteleskop

monatliche Summenkoinzidenzzahl, Berlin: 52° 33' nördl. Breite

23. Zyklus: gegenläufiges Verhalten der Sonnenflecken-Relativzahl über monatliche sekundär-kosmische Strahlung fortlaufende Messkurve des Zählteleskops.
Software u. Zählstellenelektronik seit Messbeginn unverändert.
Verlauf der Sonnenfleck-Relativzahl des 23. Zyklus (Quelle: NASA)
 ?? solares Überschwingen vor einem Maximum?
(dies wird Zyklus Nr. 24 zeigen)

 

Thesen zur Auswertung der Messergebnisse

  1. Im Jahresverlauf variiert die Zenitdistanz des Auftretens maximaler Koinzidenz-Teilchenraten bis zu 10°.1
  2. Der Jahresgang detektierter Koinzidenz-Teilchenraten zeigt relative Maxima meist im Januar und relative Minima im Juli bis August.2
  3. Weitere relative Extrema treten im Zeitraum März und September auf.2
  4. Sonnenfleck- bzw. Aktivitätszyklus und Koinzidenz-Teilchenrate verlaufen gegenläufig zueinander (Forbush-Ereignisse).3
  5. Die Variationsbreite der relativen Sommer-Winterextrema besitzt im Zeitraum des Sonnenfleckmaximums ein relatives Minimum und verläuft anschließend unter offenbar periodischer Variationsbreitenentwicklung.3

1) kombinierte Einflussgebung durch Variation des Erdmagnetfeldes und des atmosphärischen Jahresganges (Streu-Variation)
2) Einflussgebung durch Jahresgang der Atmosphärendicke
3) Modulation der Sekundärstrahlung durch Einflüsse veränderlicher Sonnenaktivität, häufig unter anti-korrelativem Verhalten

 

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, 2007-05-31